Der lange Weg zum "moralischen Frieden". Zur Debatte um den angeblichen belgischen Franktireurkrieg 1927 bis 1958
Fünfzehn Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges stellte der deutsche Historiker Franz Petri fest, dass aus allen internationalen Konflikten, die durch den Krieg entstanden waren, die Kontroverse um die Umstände der deutschen Invasion in Belgien die heftigste und bitterste blieb. Waren die Massaker und Brandstiftungen der deutschen Soldaten im August 1914 nach der Attacke der belgischen Scharfschützen eine gerechtfertigte Vergeltungsmaßnahmen? Tatsächlich wurde dies von deutschen Sprechern behauptet, jedoch vehement von den Belgiern widersprochen, die stets davon ausgingen, dass die mutmaßlichen Scharfschützen ihren Ursprung lediglich in die Phantasie von betrunkenen und von Panik erfassten Deutschen hatten. 1927 heizte der Völkerrechtsprofessor Christoph Meurer das Thema weiter an, indem er dem Reichstag in Berlin einen Bericht präsentierte, der die deutsche Behauptung unterstützte.
Auf deutscher Seite dominierte während der Zwischenkriegszeit die Propaganda gegen den Versailler Vertrag gegenüber der nationalistischen Rhetorik. Der Vertrag machte das deutsche Reich für den Beginn des Krieges verantwortlich, ein Urteil, das in der Zeit zwischen den Weltkriegen in Deutschland nie akzeptiert wurde. Somit wurden die belgischen Bedingungen für eine Sühne, die ein Bekenntnis der Gewalt im August 1914 verlangte, nicht akzeptiert. Specher der nationalistischen Rhetorik behaupteten, dass dies nicht nicht nur eine deutsche Akzeptanz des Urteils der alliierten Feinde, sondern außerdem eine moralische Niederlage zusätzlich zur militärischen bedeuten würde. Auch wenn die Frage während der Zwischenkriegszeit hin und wieder Thema von diskreten Verhandlungen war, kam es nie zu einem Ergebnis. Eine grundlegende Veränderung dieser Umstände begann kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Die militärische und insbesondere die moralische Niederlage des Dritten Reiches brachte schließlich die ehemalige nationalistische Rhetorik zum Einbrechen. Während der Zeit des Kalten Krieges war es in erster Linie die Integration der deutschen Bundesrepublik in politische und militärische Strukturen des Westens, die ein neues Klima kreierten. Anders als in der Zwischenkriegszeit wurde Belgien nicht länger als ein Teil des feindlichen und misstrauten Westen angesehen. Diese Tatsache ermöglichte einen Weg, um letztendlich den letzten Rest der Konflikte der Zeit des Ersten Weltkrieges zu beseitigen.
Zu diesem Anlass wurde 1958 im Rathaus von Leuven ein Forschungsergebnis präsentiert. Vor dem Hintergund einer erneuten Auswertung der deutschen Quellen wurde darin prinzipiell die belgische Version der Geschehnisse bestätigt und von einer Kommission deutscher und belgischer Historiker anerkannt. Petri war hierbei die Schlüsselfigur auf deutscher Seite.